Rossberg s-Varianten Titelbild

Das gelinde ß

März 2024

Das Schriftzeichen ß ist ein Buchstabe, welches zur Schreibung deutscher Sprachen verwendet wird. Historisch gesehen geht das ß auf eine Ligatur aus langem s und z bzw. langem s und s zurück.

Zum Thema der Entstehung des ß kann man bei Wikipedia folgendes lesen:
„Im Zuge der Zweiten Lautverschiebung im 7. und 8. Jahrhundert waren aus germanischem ​/⁠t⁠/​ und /tː/ zwei verschiedene Laute entstanden – ein Frikativ und eine Affrikate –, die zunächst beide mit zz wiedergegeben wurden. Zur besseren Unterscheidung gab es seit dem Althochdeutschen Schreibungen wie sz für den Frikativ und tz für die Affrikate.
Der mit ss geschriebene Laut, der auf ein ererbtes germanisches /s/ zurückgeht, unterschied sich von dem mit sz geschriebenen; das ss wurde als stimmloser alveolo-palataler Frikativ ausgesprochen, das sz hingegen als stimmloser alveolarer Frikativ. Auch als damals diese zwei Laute zusammenfielen, behielt man beide Schreibungen bei. Man brachte sie aber dadurch durcheinander, weil niemand mehr wusste, wo ursprünglich ein sz gestanden hatte und wo ein ss.
Bei der Einführung des Buchdrucks im späten 15. Jahrhundert wurden Druckschriften aus den damals geläufigen gebrochenen Schriften geschaffen. Dabei wurde für die häufig auftretende Buchstabenkombination aus langem ſ und z mit Unterschlinge eine Ligatur-Letter geschnitten.“ 1

In der Mitte des Zitats findet man diesen Satz:

Man brachte sie [die beiden Laute] aber dadurch durcheinander, weil niemand mehr wusste, wo ursprünglich ein sz gestanden hatte und wo ein ss.

Dazu möchte ich gerne ausholen, denn C.G. Roßberg ist in seiner Systematischen Anweisung genau darauf eingegangen. In seinen Ausführungen erinnert er daran, dass man die beiden Figuren des gelinden ß und des scharfen ß nicht miteinander verwechseln soll, weil dadurch dem Wort leicht ein falscher Ausdruck (gemeint ist Aussprache) gegeben werden könne.2

Hier sehen wir eine Abbildung mit der Vorlage für die Kanzlei-Schrift, die gleich mehrere Formen für verschiedene s/ß enthält.3

In der Vergrößerung sieht man zunächst das lange s (ſ) welches am Wortanfang und in der Mitte eines Wortes benutzt wird, gefolgt von unserem gewöhnlichen s, welches man damals nur am Wortende verwendete. An dritter Position sieht man ein doppeltes langes s. Dieses Prinzip ist hier in Form der Kanzleischrift ausgeführt, aber es gilt ebenso für seine Fraktur und Kurrentschriften.

Zum einfach geschärften oder gelinden ß schreibt er, dass diese Doppelfigur nur in solchen Wörtern gebraucht werden, die am Ende ein ſs oder in der Mitte ein sſ erforden, wie z.B. Preiß oder preißen.4

Sein scharfes oder doppelt geschärftes ß soll am Ende einer Silbe oder eines Wortes verwendet werden, oder wenn es mit t verbunden ist. Optional kann es auch in der Mitte eines Wortes anstatt ſſ zum Einsatz kommen.5

Zur Form: Auf Seite 134 führt er aus, dass das angesetzte z aus Platzgründen in ein Final-z umgewandelt wird (er entwirft dafür eine separate Form), und dass dieses z eigentlich ein s sein sollte. Leider begründet er das nicht weiter.

Es ist zu bedenken, dass Roßbergs Vorlagen zum (schönen und schnellen) Schreiben konzipiert waren – wenn auch etwas aufwändig – aber gerade nicht für eine typografische Umsetzung. Er weist explizit darauf hin, dass der Unterschied zwischen dem einfachen und dem doppeltgeschäften ß in den Druckereien nicht beobachtet werden könne (aus Mangel an der letzteren Figur).6

So wie alle seiner Buchstaben hat er selbstverständlich auch seine ß-Varianten mathematisch konstruiert. An zweiter Position (mit 28 überschrieben) sieht man übrigens ein z wie es am Wortanfang verwendet wurde.7

Nebenbei bemerkt: Seit 2017 gibt es das ß auch als Versal-Variante: ẞ
Das hat Roßberg in seiner Anweisung, die 1793 erschienen ist, offensichtlich nicht voraussehen können.


Zum Ende noch Anwendungsbeispiele8 für die verschiedenen Formen, die ich aus seinen Tafelbänden entnommen habe. Zunächst ein doppeltes langes s im Wort vernachlässiget:

Das einfach geschärfte oder gelinde ß in Außenseite:

Das scharfe oder doppelt geschäfte ß in muß und nuß:

Quellen

1. Wikipedia – Entstehungsgeschichte des ß

Die Abbildungen sind alle aus:
Roßberg, Christian Gottlob. Systematische Anweisung zum Schön- und Geschwindschreiben und zur Prüfung deutscher Hand- und Druckschriften. Dresden und Leipzig, 1793
Aus der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig bzw. dem angegliederten Deutschen Buch- und Schriftmuseum
2. Theorie Band 1, S. 137
3. Tafelband 1, S. 43
4. Theorie Band 1, S. 133
5. Theorie Band 1, S. 137
6. Theorie Band 1, S. 135
7. Tafelband 1, S. 19
8. Tafelband 1, S. 57 (vernachlässiget), S. 49 (Außenseite), S. 59 (muß) und S. 60 (nuß)