Zeit Kästner Titel

Kästners Zeit

Das Gedicht Ich bin die Zeit von Erich Kästner (1899–1974) habe ich bei einer szenischen Lesung gehört. Obwohl es schon etwas älter ist, scheint es mir dennoch sehr aktuell.

Da ich mich gerade intensiver mit der Textur und Initialbuchstaben auseinander gesetzt habe, war die Ausarbeitung eine willkommene Übung. Umgesetzt mit Gänsefeder und wasserlöslicher schwarzer Farbe, die Initialen sind mit einem handelsüblichen Gelstift gezeichnet.


Ich bin die Zeit

Mein Reich ist klein und unbeschreibbar weit.
Ich bin die Zeit.
Ich bin die Zeit, die schleicht und eilt,
die Wunden schlägt und Wunden heilt.
Hab weder Herz noch Augenlicht.
Ich trenn die Gut’ und Bösen nicht.
Ich hasse keinen, keiner tut mir leid.
Ich bin die Zeit.
Da ist nur eins, das sei euch anvertraut
Ihr seid zu laut.
Ich höre die Sekunden nicht,
Ich hör den Schritt der Stunden nicht.
Ich hör euch beten, fluchen schrein,
Ich höre Schüsse zwischendrein;
Ich hör nur Euch, nur Euch allein.
Gebt acht, ihr Menschen, was ich sagen will:
Ihr seid ein Stäubchen, seid endlich Still
Am Gewand der Zeit.
Laßt euren Streit
Klein wie ein Punkt ist der Planet,
Der sich samt euch im Weltall dreht.
Die oben pflegen nicht zu schreien
Und wollt ihr schon nicht weise sein,
Ihr könnt zumindest leise sein.
Schweigt vor dem Ticken der Unendlichkeit.
Hört auf die Zeit!

–– Erich Kästner